Dies ist Teil 1 von 2 der Serie Bagatelldelikte

Der Begriff der Verhältnismäßigkeit zieht sich nun seit einiger Zeit durch die Diskussionen aber auch die Urteile beim Thema Kündigung aufgrund von Bagatelldelikten. Grundsätzlich ist und bleibt jede noch so kleine Eigentumsverletzung zulasten des Arbeitgebers geeignet, eine fristlose Kündigung zu auszusprechen und zu rechtfertigen. Die ständige Rechtsprechung zeigt es deutlich: Diebstahl ist Diebstahl. Die Gerichte kennen also keine Bagatellgrenze. Andererseits jedoch machen Urteile wie das im „Kinderbett-Fall“ klar, dass die Gerichte eine „Interessenabwägung“ im Sinne beider Parteien durchführen.

Interessenabwägung

Wie sieht das nun im Einzelnen aus? Das Gericht versucht sich ein Gesamtbild der Situation zu machen: wie lange arbeitet der Mitarbeiter schon störungsfrei und ohne Abmahnungen bei seinem Arbeitgeber? Gibt es Hinweise darauf, dass das Verhalten des Arbeitnehmers kein Einzelfall darstellt, sondern vielleicht im Arbeitsablauf als üblich anzusehen ist? Tun andere Mitarbeiter das gleiche und erscheint der spezielle Fall nur als Anlass genommen zu werden? Stellt die Kündigung eine besondere Härte für den Arbeitnehmer dar? Hinter all dem steht die Überlegung, dass im Falle einer fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch bei Vorfällen, die an sich einen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen, die Frage gestellt werden muss, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt.

Schuldfrage

In den letzten Jahren hat der sogenannte „Emmely-Fall“ große Wellen geschlagen. Über alle Instanzen wurde diskutiert, ob die beschuldigte und gekündigte Klägerin bewusst oder unbewusst gehandelt habe und ihr Verhalten im Zuge der Entdeckung des Vergehens einen Einfluss auf die Interessensabwägung haben müsse. Die Klägerin hatte den Vorfall nämlich zunächst abgestritten und den Verdacht auf ihre Kolleginnen gelenkt. Nachdem dies in den Verhandlungen klar zu wiederlegen war, ging der Versuch zu Lasten der Klägerin bei der Interessenabwägung ein und die Gerichte bestätigten in Folge dessen die fristlose Kündigung. Anders das Bundesarbeitsgericht im Juni 2010. Das BAG sprach im Urteil (AZ 2 AZR 5341/09) zwar eindeutig von einer erheblichen Pflichtwidrigkeit, hielt die fristlose Kündigung aber aufgrund des geringen Schadensbetrages von 1,30 Euro und der mit 31 Jahren sehr langen Betriebszugehörigkeit der Klägerin für unangemessen.

Bagatellgrenzen

Zugleich nutzte das Bundesarbeitsgericht aber auch diesen Fall, um deutlich klar zu machen, dass es auch weiterhin eine untere Wertgrenze für Bagatelldelikte ablehne. Solche Fälle sollten auch in Zukunft im Einzelfall beurteilt werden. Dem gegenüber stehen Bestrebungen der Politik eine solche Grenze zu implementieren. Anfang 2010 legt die SPD dem Bundestag einen Gesetzesentwurf vor, der den „Schutz vor Kündigungen wegen eines unbedeutenden wirtschaftlichen Schadens“ zum Ziel hatte, im Bundestag aber nicht verabschiedet wurde.
Die Diskussion um das Thema wird wohl noch eine Weile weitergehen.