Wie ehrlich sind eigentlich Bewerber? Diese Frage dürfte sich schon so mancher Personaler gestellt haben. Eine Studie der Hochschule Osnabrück aus dem Jahr 2016, die kürzlich veröffentlicht wurde, hat sich durch die Befragung von knapp 1.000 Bewerbern dieser Frage gestellt – und erschütternde Wahrheiten zu Tage gefördert. Unter dem Titel „Strategisches Verhalten in der Personalauswahl. Wie Bewerber versuchen, ein gutes Ergebnis zu erzielen“ untersuchten Wirtschaftspsychologen, welcher Tricks sich Bewerber bedienen, um beim Arbeitgeber einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Bewerber sind gut informiert

Die Befragung hat eines ganz deutlich gezeigt: Der heutige Bewerber geht gut informiert in den Bewerbungsprozess. 86 Prozent der Befragten gab an, sich mithilfe des Internets über den Arbeitgeber zu informieren und Meinungen im Freundeskreis einzuholen. Außerdem ist es für die meisten Bewerber offenbar an der Tagesordnung, sich mithilfe von Ratgeberliteratur bestens auf die Auswahlprozesse vorzubereiten. So kann es vorkommen, dass der Bewerber sogar besser gewappnet ist als der Personaler selbst.

Auf den ersten Blick scheint es erfreulich, dass sich Bewerber so gut auf ihr Vorstellungsgespräch vorbereiten. Dieses Verhalten birgt aber auch eine Gefahr: Die Aussagekraft dieses Gesprächs geht gegen Null. Der Arbeitgeber stellt Fragen, von denen er sich einen Einblick in den Charakter des Bewerbers, sein Verhalten und seine Motivation erhofft. Dieser antwortet aber nicht unbedingt wahrheitsgemäß, sondern eher in der Art und Weise, die der Personaler vermutlich erwartet.

Lügen sind an der Tagesordnung

Für sehr viele Bewerber scheint es eine Selbstverständlichkeit zu sein, in der Bewerbung zu lügen. Dabei sprechen wir weniger von gefälschten Studienabschlüssen, sondern mehr über seichtere „Notlügen“. So erfinden beispielsweise zwei von fünf Bewerbern Hobbys, von denen sie denken, dass sie ihnen im Auswahlverfahren Vorteile bringen könnten. Rund 90 Prozent der Bewerber denken sich ihre Stärken und Talente aus, um den Arbeitgeber zu beeindrucken. Als Schwächen werden auf Nachfrage weniger die tatsächlichen Schwächen angegeben, sondern nur jene, die möglicherweise auch positiv ausgelegt werden könnten.

Noch deutlich bedenklicher: In vielen Lebensläufen finden sich nicht korrekte Angaben, beispielsweise überhaupt nicht besuchte Weiterbildungen oder nicht vorhandene Fähigkeiten (z. B. Sprachen, Computerkenntnisse). Lücken im Lebenslauf werden gerne verschleiert, indem nur Jahreszahlen statt genauer Zeiträume angegeben oder eine vermeintliche Weiterbildung vorgeschoben werden.

Keine Individualität

Knapp zwei Drittel der Bewerber laden ihre Anschreiben und Lebensläufe aus dem Internet herunter und überarbeiten sie nur noch geringfügig (abgesehen von den Inhalten des Lebenslaufs). Dies ist auf dem Hintergrund bedenklich, dass viele Arbeitgeber es Arbeitnehmern nach wie vor positiv auslegen, wenn sie die gängigen Standards einhalten – dabei ist es meist keine eigene Leistung. Ein so zusammengeschustertes Anschreiben sagt nichts über die Persönlichkeit des Bewerbers aus und ist daher für die Personalauswahl quasi wertlos geworden.

Wege aus der Misere: Mehr Individualität im Auswahlprozess

Problem erkannt – Problem gebannt. Je mehr sich Arbeitgeber dessen bewusstwerden, dass ihre standardisierten Auswahlprozesse nicht mehr aussagekräftig sind, desto größer sind ihre Chancen, Bewerber zukünftig wieder vor der Entscheidung bewerten zu können. Mögliche Wege könnten sein:

  • Stellen Sie keine Fragen, die von den Bewerbungsratgebern hochgelobt werden, sondern greifen Sie auf etwas skurrilere Fragen zurück.
  • Beziehen Sie sich in Ihrer Fragestellung weniger auf allgemeine Sachverhalte, sondern auf die ausgeschriebene Stelle (z. B. „Wie stellen Sie sich Ihre Arbeit in unserem Hause vor?“)
  • Konfrontieren Sie den Bewerber mit einem Problem, das so im Arbeitsalltag tatsächlich auf ihn zukommen könnte. Auf solche Fragen kann er sich nicht vorbereiten, sondern muss echt reagieren.

Allgemein gilt: Haben Sie den Mut, im Bewerbungsprozess neue Wege zu gehen, die in den einschlägigen Ratgebern nicht beschrieben sind. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, den echten Menschen hinter der auswendig gelernten Bewerberfassade kennenzulernen.