Gewerkschaften können mit ihren Tarifverträgen auch Verpflichtungen für Unternehmen ohne Tarifbindung begründen. Das Grundgesetz schützt dieses Recht, normiert aber keinen Anspruch.
Der Fall: BAG erklärt Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen für unwirksam
Im Baugewerbe gibt es Sozialkassen, die Leistungen betreffend Altersversorgung und Urlaub gewähren. Die Finanzierung erfolgt über Arbeitgeberbeiträge. Da der dazugehörige Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) für allgemeinverbindlich erklärt wurde, mussten auch Unternehmen ohne Tarifbindung einzahlen. Das Tarifvertragsgesetz sieht vor, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine Allgemeinverbindlichkeit aussprechen kann, um auch Nichtmitglieder zu verpflichten.
Diese Allgemeinverbindlichkeitserklärungen hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits 2016 und 2017 wegen Formalfehlern für unzulässig erklärt. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) blieb ohne Erfolg.
Das Urteil: Laut Grundgesetz kein Rechtsanspruch auf allgemeinverbindliche Tarifverträge
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verneinte einen Rechtsanspruch auf allgemeinverbindliche Tarifverträge (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Januar 2020, Az. 1 BvR 4/17). Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) schütze lediglich das Recht, durch einen Tarifvertrag auch Nichtmitgliedern Verpflichtungen aufzuerlegen, begründe aber keinen gesetzlichen Anspruch. Außerdem dürfe der Staat seine Befugnis, Normen zu beschließen, nicht nach Belieben an außerstaatliche Stellen übertragen, zumal hier eine demokratische Legitimation fehle.
Das in Artikel 9 Absatz 3 geregelte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit biete Koalitionen die Chance, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu fördern. Eine Verletzung der grundgesetzlichen Rechte sei nur dann gegeben, wenn ihnen diese Chance verweigert würde. Die Bedingungen des BAG an die allgemeinverbindlichen Tarifverträge verletzten dieses Recht nicht:
- Im Ministerium müssen Mitarbeiter persönlich dafür verantwortlich sein, dass nicht staatliche Einrichtungen gesetzgeberische Aufgaben ausführen.
- Mindestens die Hälfte der Betroffenen sollten Mitglieder sein.
Der Gesetzgeber hatte als Reaktion auf die BAG-Entscheidung die Allgemeingültigkeit des Sozialkassenverfahrens für das Baugewerbe und andere Branchen gesetzlich verankert. Andernfalls hätten die Unternehmen ohne Tarifvertragsbindung ihre Leistungen zurückfordern können und die Existenz der Sozialkassen gefährdet.
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