Schwerbehinderte genießen laut Gesetz einen Sonderkündigungsschutz. § 168 SGB IX schreibt ein besonderes Verfahren mit der Zustimmung des Integrationsamtes vor. Auch die EuGH-Rechtsprechung schützt die Rechte der Betroffenen. Demnach müssen Arbeitgeber einige Punkte erfüllen, um nicht eine rechtsunwirksame Kündigung gegenüber behinderten Mitarbeitern auszusprechen.

1. Schritt: Prüfen, ob Schwerbehinderung vorliegt

Zunächst ist zu prüfen, ob der zu kündigende Mitarbeiter eine Schwerbehinderung hat. Eine Person gilt als schwerbehindert, wenn

  • die Behörde einen Behinderungsgrad von mindestens 50 feststellt,
  • offensichtlich eine schwere Behinderung vorliegt oder
  • die Agentur für Arbeit einen Gleichstellungsbescheid ausgestellt hat.

Die Eigenschaft „schwerbehindert“ muss zum Kündigungszeitpunkt vorliegen, damit der Kündigungsschutz greift.

2. Schritt: Prüfen, ob Sonderkündigungsschutz besteht

Es ist zu prüfen, ob ein Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte besteht. Ein solcher entfällt, wenn der Mitarbeiter

  • das 58. Lebensjahr vollendet hat und ein Abfindungs- oder Entschädigungsanspruch besteht und der Arbeitgeber die Kündigungsabsicht rechtzeitig geäußert hat.
  • aus Witterungsgründen entlassen wird und die Wiedereinstellung bei der späteren Arbeitsaufnahme garantiert ist.
  • die Schwerbehinderung nicht nachgewiesen hat.

3. Schritt: Zustimmung des Integrationsamtes einholen

Bevor der Arbeitgeber gegenüber einem schwerbehinderten Mitarbeiter die Kündigung ausspricht, benötigt er die Zustimmung des Integrationsamtes. Wenn das Integrationsamt vorab nicht zustimmt, ist eine ausgesprochene Kündigung jedenfalls unwirksam. Dies gilt auch dann, wenn sie an sich rechtmäßig gewesen wäre. Das Gesetz sieht einen schriftlichen Antrag auf Zustimmung vor.

Dieses Zustimmungserfordernis ist unabhängig von der Betriebsgröße einzuhalten. Demnach müssen auch Kleinunternehmen die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Das Integrationsamt überprüft, ob die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht, und wiegt die Interessen beider Seiten gegeneinander auf. Die übrigen Kündigungsvoraussetzungen sind hingegen nicht Prüfungsgegenstand.

4. Schritt: Schwerbehindertenvertretung anhören

Die Schwerbehindertenvertretung muss am Prozess zur Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters beteiligt sein. Andernfalls ist die Kündigung rechtlich unwirksam.

5. Schritt: Betriebsrat beteiligen

  • 102 Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass sich der Betriebsrat zur Kündigung schwerbehinderter Mitarbeiter äußern darf.

6. Schritt: Sonderfall Kündigung in der Probezeit

Für Kündigungen in der Probezeit gelten Besonderheiten.

  • Kündigung dem Integrationsamt anzeigen: Von der Zustimmungsbedürftigkeit des Integrationsamtes gibt es eine Ausnahme. Das betrifft die Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters, dessen Beschäftigungsverhältnis zum Zeitpunkt, in dem die Kündigungserklärung zugegangen ist, noch nicht länger als sechs Monate gedauert hat. In diesem Fall muss das Unternehmen dem Integrationsamt die Kündigung nur anzeigen.
  • EuGH-Rechtsprechung beachten: Allerdings sind Arbeitgeber gut beraten, bei der Kündigung eines behinderten Mitarbeiters in der Probezeit die aktuelle EuGH-Rechtsprechung zu beachten, die den Kündigungsschutz verstärkt. Demnach muss ein Arbeitgeber dem Betroffenen gegebenenfalls einen anderen Arbeitsplatz anbieten, bevor er die Kündigung ausspricht. Im Urteil vom 10. Februar 2022 hat sich der EuGH dafür ausgesprochen, dass Unternehmen, bevor sie einen schwerbehinderten Mitarbeiter kündigen, überprüfen müssen, ob der Betroffene alternativ in einem anderen freien Job im Unternehmen eingesetzt werden kann (Urteil des EuGH vom 10. Februar 2022, Az. C-485/20). Dies betreffe auch die Probezeit. Allerdings sind Faktoren des Arbeitgebers wie Aufwand, Größe, finanzielle Mittel und Umsatz zu beachten, um das Unternehmen nicht unverhältnismäßig zu belasten.

In Deutschland gibt es derzeit keinen solchen Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte während der Probezeit. Es ist aber naheliegend, dass sich die deutschen Arbeitsgerichte der EuGH-Rechtsprechung anschließen werden.