Die Deutsche Bahn, der Großkonzern Henkel, das Versandunternehmen Otto und einige andere Arbeitgeber haben eines gemeinsam: Sie treffen ihre Personalauswahl ohne Anschreiben. Dabei drängt sich die Frage auf, welche Vor- und Nachteile ein Motivationsschreiben für Unternehmen hat.

Argumente für das Anschreiben

Es gibt einige Argumente, die dafür sprechen, das traditionelle Anschreiben beizubehalten:

  • Gesamteindruck
    Mit einem Anschreiben können sich Unternehmen ein besseres Bild von einem Kandidaten machen. Es trägt zum Gesamteindruck bei und gibt Einblicke in den Charakter.
  • Gute Ergänzung zum Lebenslauf
    Ein Motivationsschreiben kann den Lebenslauf ergänzen, indem es die bisherige Berufserfahrung näher ausführt. Hier findet der Arbeitgeber Informationen, für die im tabellarischen Lebenslauf kein Platz ist.
  • Motivation und Wissen
    An den Formulierungen im Anschreiben können Unternehmen erkennen, ob ein Bewerber motiviert ist, Kreativität zeigt und sich mit seinem potenziellen Arbeitgeber beschäftigt hat. Hier erklären Kandidaten regelmäßig in eigenen Worten, was für sie spricht und warum sie zum Unternehmen passen.
  • Ausdrucksfähigkeit
    Das Anschreiben zeigt, ob sich ein Bewerber ausdrücken und fehlerfrei schreiben kann. Einige Personaler sehen in diesen Zeilen eine Möglichkeit, die Qualität eines Kandidaten zu beurteilen.

Studie über die Bedeutung des Anschreibens

Die Kritiker des Anschreibens fühlen sich in ihren Bedenken durch eine Arbeitsmarktstudie des Personalvermittlers Robert Half bestätigt. Personalverantwortliche führen in dieser Umfrage aus dem Jahr 2017 insbesondere diese Argumente gegen das Bewerbungsschreiben an:

  • 48 Prozent der befragten 244 Manager bemängeln, dass Anschreiben nur wenig aussagekräftig sind.
  • Für 39 Prozent der Studienteilnehmer ist dieser Teil der schriftlichen Bewerbung sehr subjektiv.
  • 32 Prozent der befragten Personalentscheider gaben an, dass Bewerber im Anschreiben keine zusätzlichen Informationen preisgeben, die nicht auch im Lebenslauf zu finden sind.
  • Für 23 Prozent sind die Angaben in diesem Bewerbungsteil nicht verlässlich.
  • 15 Prozent führen mangelnde Zeit als Argument gegen das Anschreiben an.

Argumente gegen das Anschreiben

Gegen das Anschreiben sprechen diese Aspekte:

  • Zu wenig Aussagekraft
    Unternehmen möchten einen Mitarbeiter finden, der die Jobanforderungen perfekt erfüllt. Ob dies der Fall ist, lässt sich aus einigen Sätzen nicht herauslesen. Das Anschreiben bietet in diesem Punkt nur wenig Aussagekraft, vor allem wenn es nicht um schriftstellerische Fähigkeiten, sondern um handwerkliche Fertigkeiten und Geschick geht. Außerdem ist es denkbar, dass nicht der Kandidat selbst, sondern ein eloquenter Bekannter das Anschreiben verfasst hat.
  • Leere Versprechungen
    Ansprechende Formulierungen über den Bewerber und schmeichelnde Worte über das Unternehmen können sich in der Praxis als leere Versprechungen erweisen. Einige schriftliche Zeilen im Motivationsschreiben bedeuten nicht zwangsläufig, dass der Kandidat tatsächlich die nötige Motivation mitbringt, die sich ein Arbeitgeber erwartet. Noten und bisherige Berufserfahrungen sind mitunter ein besserer Gradmesser für den Ehrgeiz eines Bewerbers. Viele Personalverantwortliche sehen zudem in persönlichen Bewerbungsgesprächen eine gute Möglichkeit, um die charakterlichen Eigenschaften eines Kandidaten einzuschätzen.
  • Anschreiben als Hürde für Bewerber
    So manchen Arbeitgeber bereitet es große Mühe, seine freien Stellen mit geeigneten Auszubildenden, Fachkräften und verlässlichen Mitarbeiten zu besetzen. Die Tatsache, dass die Personalabteilung ein Anschreiben verlangt, motiviert Interessierte nicht unbedingt dazu, sich zu bewerben. Realistisch denkende Unternehmen haben daher erkannt, dass sie den Kandidaten die Bewerbung möglichst leicht machen sollten. Wer auf ein Motivationsschreiben verzichtet, geht einen Schritt auf die Bewerber zu und beschleunigt den Prozess.
  • Lesen als Zeitverschwendung
    Unternehmen, die eine Bewerbung inklusive Anschreiben einfordern, müssen mit Mehrarbeit rechnen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich viele Kandidaten bewerben. Es braucht viel Zeit, alle Motivationsschreiben sorgfältig zu lesen.

Ob sich Arbeitgeber nun dafür entscheiden, auf das Anschreiben zu verzichten, oder es auch in Zukunft beibehalten wollen, ist in erster Linie Geschmackssache – denn beide Argumentationen haben durchaus ihre Berechtigung.