Arbeitgeber dürfen vorsätzliche Pflichtverletzungen eines Mitarbeiters auch dann durch Videoaufzeichnungen aus einer offenen Überwachung beweisen, wenn dieses Datenmaterial nicht gänzlich den Datenschutzbestimmungen entspricht. Dies ergibt sich aus einem aktuellen BAG-Urteil.
Rechtsgrundlagen zur offenen Videoüberwachung
Offene Videoüberwachungen sind in bestimmten Unternehmensbereichen wie beispielsweise beim Eingang oder bei der Kasse zulässig, weil dort ein größeres Risiko besteht, dass Kunden oder Mitarbeiter Rechtsverstöße begehen. Sie sollen beispielsweise vor dem Zutritt durch unbefugte Personen sowie vor Sachbeschädigung oder Diebstahl schützen.
Eine offene Videoüberwachung liegt vor, wenn es Hinweistafeln für die Kameras gibt und die Videokameras so montiert sind, dass sie für jeden zu erkennen sind. Als Rechtsgrundlagen dienen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), das BGB und das Kündigungsschutzgesetz.
Konkreter Fall: Videomaterial widerspricht Datenschutzbestimmungen
Grundsätzlich greifen solche Überwachungen in das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter ein und müssen mit den Datenschutzbestimmungen im Einklang stehen. Allerdings dürfte nicht jeder Verstoß gegen eine datenschutzrechtliche Vorschrift dazu führen, dass der Arbeitgeber das Videomaterial vor dem Arbeitsgericht nicht als Beweismittel vorbringen darf. Dies hat das Bundesarbeitsgericht im Falle der fristlosen Kündigung eines Teamsprechers wegen Arbeitszeitbetrug entschieden (Urteil des BAG vom 29. Juni 2023, Az. 2 AZR 296/22).
Dieser Mitarbeiter wurde gekündigt, weil er eine Mehrarbeitsschicht nicht absolviert hatte, sich die Arbeitszeit aber vergüten ließ. Als Beweismittel brachte der Arbeitgeber Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung vor, auf denen zu erkennen war, dass der Beschäftigte das Unternehmen vor Schichtbeginn verlassen hatte. Der Arbeitgeber bewahrte die Videoaufzeichnungen mehr als ein Jahr auf, obwohl er sich verpflichtet hatte, sie nach 96 Stunden zu löschen.
Dieser Fehler beim Datenschutz stehe laut BAG-Ansicht im gegenständlichen Fall einer gerichtlichen Verwertung des Videomaterials nicht entgegen. Das sei dann der Fall, wenn eine offene Videoüberwachung vorliege und ein vorsätzlicher Pflichtverstoß des Mitarbeiters im Raum stehe.
Praxis: Abwägung vor Gericht
Für die Praxis lässt sich daraus ableiten, dass Gerichte eine Abwägung durchführen müssen, wenn sich Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess auf unzulässig erlangtes Bildmaterial aus einer offenen Videoüberwachung stützen, um Pflichtverstöße von Mitarbeitern nachzuweisen. Dabei sind diese Faktoren gegeneinander abzuwägen:
- Schwere der Pflichtverletzungen durch den Mitarbeiter
- Bedeutung der Datenschutzvorschriften, die der Arbeitgeber missachtet hat
Wenn die nicht eingehaltenen Datenschutzbestimmungen eine rein formale Streitfrage wie die zulässige Aufbewahrungsdauer von Videomaterial betreffen und dem Mitarbeiter unterdessen ein vorsätzlicher, erheblicher Pflichtverstoß angelastet wird, dürften die Videoaufzeichnungen gerichtlich verwertbar sein.
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