Berechtigt eine Strafanzeige gegen den Arbeitgeber zu einer Kündigung? Mit dieser Frage beschäftigte sich das LAG Mecklenburg-Vorpommern.

Der Fall: Kündigung wegen Strafanzeige gegen Arbeitgeber

Die Klägerin war bei einem Verein, der junge Menschen mit Missbrauchs- und Gewalterfahrungen betreut, für die Hilfskoordination zuständig. Zudem war sie Stellvertreterin der Vorstandsvorsitzenden. Sie brachte wegen finanzieller Ungereimtheiten eine Strafanzeige gegen den Verein ein. Dabei berief sie sich auf Unterlagen zu mehr als 700 Online-Bestellungen, die dem Vereinszweck nicht zuordenbar waren. Es folgten eine außerordentliche und zwei ordentliche Kündigungen durch den Verein. Zudem beantragte der Verein eine Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Die Betroffene ging dagegen gerichtlich vor.

Das Urteil: Kündigungen unwirksam, aber Auflösung zulässig

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hielt die Kündigungen für unwirksam. Es konnte keine Pflichtverletzung der Klägerin erkennen, die eine Kündigung rechtfertigen würde. Die Strafanzeige gegen den Verein sei nicht unverhältnismäßig. Grundsätzlich sollten Mitarbeiter Hinweise auf strafbare Handlungen zwar zunächst gegenüber der Führungskraft oder einer anderen internen Stelle äußern. Diese Regel sei im vorliegenden Fall aber nicht anwendbar, weil der Arbeitgeber selbst eine Straftat gesetzt hat. Demnach sei die Mitarbeiterin nicht dazu verpflichtet gewesen, auf die Arbeitgeberinteressen Rücksicht zu nehmen. Darüber hinaus gebe es im vorliegenden Fall keine Verpflichtung, den Vorfall intern zu klären, weil eine Abhilfe nicht zu erwarten war. Dies wäre unverhältnismäßig und ein unzulässiger Eingriff in die Freiheitsrechte der Klägerin.

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hielt zwar die Kündigungen, nicht aber den Auflösungsantrag für unzulässig. Demnach war das Beschäftigungsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung in Höhe von 9.000 Euro aufzulösen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Als Begründung nannte das LAG die persönliche Feindschaft und die internen Machtkämpfe zwischen Klägerin und Vereinsvertretern (Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 15. August 2023, 5 Sa 172/22).

Bei Straftaten des Arbeitgebers können Mitarbeiter direkt eine Strafanzeige einbringen, ohne interne Klärungsversuche zu unternehmen. Sie begehen damit keine Pflichtverletzung. Unter den Bedingungen von § 9 KSchG können Arbeitgeber eine Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung beantragen. Diese Voraussetzungen prüfen die Arbeitsgerichte einzelfallbezogen.