Wenn ein Mitarbeiter nach der Kündigung erkrankt und sich krankschreiben lässt, schmälert dies nicht den Beweiswert der AU-Bescheinigung. Alleine deshalb sei die Krankschreibung nicht unglaubwürdig. Dafür braucht es laut LAG Mecklenburg-Vorpommern belastbare Tatsachen.

Der Fall: Keine Entgeltvorzahlung wegen Zweifel an Krankschreibung

Der Kläger, ein Facharzt für Orthopädie, war seit Januar 2020 bei einer Reha-Klinik in Stralsund als Chefarzt der orthopädischen Fachabteilung beschäftigt. Er bewohnte eine Zweitwohnung nahe der Klinik. Sein Familienwohnsitz lag rund 1.000 Kilometer entfernt. Der Chefarzt kündigte zum 28. Februar 2022 das Beschäftigungsverhältnis fristgerecht. Nach der Kündigung war er insgesamt 46 Tage krank. Am 9. Februar 2022 meldete er sich krank. Er legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Darin schrieb die behandelnde Ärztin den Chefarzt für die Zeitspanne vom 9. Februar bis zum 21. Februar 2022 krank. Ab dem 22. Februar beanspruchte der Kläger seinen Resturlaub. Im später vorgelegten Attest diagnostizierte die Ärztin Hypertonie, Kopfschmerzen, Myogelosen im Schulter-Nackenbereich und ein HWS-Syndrom.

Der beklagte Arbeitgeber bezweifelte die Richtigkeit dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und verwehrte daher die Entgeltfortzahlung während der Zeit der Krankmeldung. Seine Zweifel resultierten daraus, dass die Krankmeldung exakt den Zeitraum bis zu Beginn des Resturlaubs betraf und der Arzt während dieser Zeit eine zehnstündige Bahnfahrt zu seinem Familienwohnsitz absolvieren konnte. Der erkrankte Arzt hätte angesichts seiner Beschwerden einen nahegelegenen Arzt konsultieren können, anstatt eine lange, beschwerliche Bahnreise anzutreten. Der Arbeitgeber bezweifelte die Glaubwürdigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Das Urteil: Beweiswert der AU-Bescheinigung nicht erschüttert

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern zweifelte nicht an der Richtigkeit der AU-Bescheinigung und gab stattdessen dem Kläger recht. Eine zehnstündige Bahnfahrt in der ersten Klasse sei nicht als so belastend einzustufen wie ein Arbeitstag als Chefarzt. Diese Reise verlange weder geistige und körperliche Anstrengungen noch eine hohe Konzentration und Reaktionsvermögen. Darüber hinaus könne der Kläger während der Bahnfahrt entspannt sitzen oder sich bei Bedarf bewegen. Auch die Tatsache, dass er im Zeitraum zwischen seiner Kündigung und der Inanspruchnahme des Resturlaubs krankgeschrieben war, erschütterte die Glaubwürdigkeit nicht. Ein Mitarbeiter könne vor und auch während einer Kündigung erkranken.

Aus einer geringeren Motivation zwischen Kündigungszeitpunkt und Austritt aus dem Unternehmen könne nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, dass der Betroffene die Krankheit vorgetäuscht habe. Die besagte Krankschreibung und die anderen Umstände reichen laut Ansicht des LAG Mecklenburg-Vorpommern nicht aus, um den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern (Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Juli 2023, Az. 5 Sa 1/23).

Der Arbeitgeber müsse tatsächliche Umstände darlegen und, falls der Arbeitnehmer diese bestreitet, auch beweisen. Dafür braucht es belastbare Tatsachen, die an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit erhebliche Zweifel aufkommen lassen. Dies sei im vorliegenden Fall nicht geschehen. Daher wurde das Unternehmen dazu verpflichtet, die unterlassene Entgeltfortzahlung an den gekündigten Chefarzt zu leisten.