Die verstärkte Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) und ChatGPT wirft die Frage auf, wie aussagekräftig Bewerbungsunterlagen in der heutigen Zeit noch sind. Nach wie vor verlangen viele Arbeitgeber vollständige Bewerbungsunterlagen (= Bewerbungsschreiben/Motivationsschreiben, Lebenslauf und Zeugnisse). Einige Punkte sprechen dafür, Bewerbungsschreiben, Lebenslauf und Zeugnissen einen nicht zu hohen Stellenwert beizumessen und stattdessen einzelne Aspekte kritisch zu betrachten.

Individuelles Bewerbungsschreiben

Professionelle Bewerbungsschreiben lassen sich online in weniger als zehn Minuten erstellen. Dank ChatGPT ist es für Bewerbende sehr einfach, ein solches Schreiben zu verfassen und darin gute Gründe für die Bewerbung beim jeweiligen Unternehmen zu liefern. Angesichts des geringen Zeitaufwands und der großen Auswahl an vorgefertigten Formulierungen, die sich an den jeweiligen Job anpassen lassen, stellt sich die Frage, wie aussagekräftig ein Bewerbungsanschreiben für HR-Verantwortliche noch ist.

Aussagekraft hat dieses Motivationsschreiben dann, wenn Bewerber individuelle Informationen preisgeben, die im Lebenslauf nicht zu finden sind. Dies gilt insbesondere, wenn das Schreiben die persönliche Motivation in selbst gewählten Worten erkennen lässt, ohne aus reinen Floskeln und Phrasen zu bestehen.

Bewerbungsschreiben auf freiwilliger Basis

Ein freiwilliges Bewerbungsschreiben fördert ein solches Resultat eher als ein verpflichtendes Schreiben. Aus Arbeitgebersicht spricht daher einiges dafür, das verpflichtende Motivationsschreiben abzuschaffen. Unternehmen können stattdessen den Bewerbern eine Wahlfreiheit einräumen, ob sie ein Bewerbungsschreiben einreichen möchten oder nicht. Für einige Kandidaten wie Quereinsteiger, ehemals Selbstständige und Personen, die häufig Jobs und Arbeitgeber wechseln, kann es nach wie vor eine gute Gelegenheit bieten, über individuelle Beweggründe und Motive zu informieren.

Lebenslauf mit zu viel Interpretationsspielraum

Auch ein Lebenslauf lässt sich in wenigen Minuten online generieren. Er skizziert im Wesentlichen das bisherige Leben aus beruflicher Perspektive. Er gibt die Vergangenheit wider, sagt aber nichts über die Zukunft aus. Daraus können HR-Mitarbeiter nicht herauslesen, wie der Bewerber sein zukünftiges Berufsleben gestalten wird und ob er eine gleich gute oder bessere Arbeit als in den anderen Unternehmen erbringen wird. Das individuelle Potenzial lässt sich daraus nicht erkennen. Außerdem besteht die Gefahr, einzelne Punkte falsch zu interpretieren und damit auch unrichtige Schlüsse zu ziehen.

Hinzu kommt, dass nicht immer überprüfbar ist, ob die Angaben im Lebenslauf tatsächlich der Realität entsprechen. Bei einer Umfrage des Portals CVapp.de gaben fast 60 Prozent der Befragten an, im Lebenslauf schon einmal die Unwahrheit gesagt zu haben. Die Lügen betreffen vor allem Kompetenzen (78,64 Prozent), Gehalt (73,97 Prozent), Stellenbeschreibung (57,86 Prozent) und Bildungsabschluss (51,82 Prozent). Auch beim Lebenslauf kann daher eine kritische Betrachtung angebracht sein.

Positiv formulierte Arbeitszeugnisse

Bei den Arbeitszeugnissen hat sich vielfach die Praxis eingebürgert, möglichst positiv und wohlwollend zu formulieren, um sich nachträglichen Ärger durch arbeitsrechtliche Streitigkeiten und eine schlechte Nachrede zu ersparen. Dies erschwert die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen für künftige Arbeitgeber.

Angesichts der verstärkten Nutzung von künstlicher Intelligenz und der Gefahr von Fehlinterpretationen ist Vorsicht geboten, wenn es darum geht, Personalentscheidungen auf Grundlage der Bewerbungsunterlagen zu treffen.